Schmerzgele: Umweltschädlicher Unsinn

Jeder kennt Diclofenac oder Voltaren. Meist nehmen wir es ja ein weil ein Gelenk oder der Rücken schmerzt. Dann gibt es aber noch diese nicht ganz billigen Salben und Gele, die man direkt auf die schmerzende Stelle aufbringt. Klingt irgendwie logisch. Aber bringt’s das wirklich? Nicht ganz sicher, aber was sicher ist, ist ein ziemliches […]

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Jeder kennt Diclofenac oder Voltaren. Meist nehmen wir es ja ein weil ein Gelenk oder der Rücken schmerzt. Dann gibt es aber noch diese nicht ganz billigen Salben und Gele, die man direkt auf die schmerzende Stelle aufbringt. Klingt irgendwie logisch. Aber bringt’s das wirklich? Nicht ganz sicher, aber was sicher ist, ist ein ziemliches Umweltproblem dieser äußerlichen Anwendung.

Chronische Schmerzen betreffen etwa 31 % der Bevölkerung und sind damit weltweit die Hauptursache für den Verlust von Lebensjahren aufgrund von Behinderungen. Trotzdem gibt es nur wenige zuverlässige Behandlungsmöglichkeiten. 

Die schweren Nebenwirkungen von Schmerz- und Antientzündlichen Arzneimitteln, v.a. Magen-Darm-Geschwüre, Herzinfarkte und irreversible Nierenschädigung, führten zu Alternativen wie Cremes. 

Inhalt auch Schmerz- und Antientzündliche Arzneimittel, aber auch Capsaicin (aus verschiedenen Paprikas/Chilis, Wärmegefühl oder Schärfe                ) und in gewissem Maße auch Lokalanästhetikum Lidocain, alle Nerven lahmlegt, auch Berührung, Temperatur.

Es gibt gute Belege dafür, dass einige Formulierungen von Salben mit Diclofenac (Voltaren) bei akuten Schmerzzuständen wie Verstauchungen oder Zerrungen nützlich sind, mit NNT-Werten von ca. 5: 1 / 5 profitiert vs. Placebo.

Bei chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparats, z.B. Hand- und Kniearthrose, sehr begrenzte Wirksamkeit. NNT höher: Zumindest ein kleiner Teil der Patienten gute Schmerzlinderung.

Umweltproblem

2019 hat die Arzneimittelkommission der schwedischen Region Gävleborg vor der Anwendung von Diclofenac-Gel abgeraten – aufgrund von Umweltrisiken. 

Diclofenac im Trinkwasser ist ein Problem

Führt zu Leber- und Nierenschäden bei Vögeln und Fischen.

In Deutschland das Umweltbundesamt (UBA) mit der Bewertung und Vermeidung von Umweltrisiken durch Arzneimittel betraut. 

Auffallend hohe Konzentrationen des Antirheumatikums Diclofenac/Voltaren in der Umwelt. 

Diclofenac kann mit den derzeit gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren der Abwasserbehandlung nur teilweise aus Trinkwasser gefiltert werden

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) 

über die Ökotoxizität von Diclofenac

Hinweise zum verantwortungsbewussten Umgang. 

Arzneimittelabfälle nicht in die Toilette: Zur Apotheke oder dort wo eh verbrannt in den Hausmüll. 

Salben sind das Problem:

Während Diclofenac als Tablette zu einem großen Teil verstoffwechselt wird, 

gelangt es als Salbe verstärkt ins Abwasser – vor allem, wenn direkt nach dem Auftragen die Hände gewaschen werden. 

Beim Gebrauch von Voltaren-Schmerzgel nicht direkt nach dem Auftragen die Hände waschen, sondern 

Nach Auftragen Hände zuerst mit einem Tuch abgewischt

Damit das „Wischen“ besonders effektiv ist, soll laut einer von GSK finanzierten Studie (Hersteller von Voltaren) eine besondere Wisch- und Falttechnik des Tuchs. 

Video mit Tipps zur verantwortungsvollen Anwendung und Entsorgung zur Verfügung:

das im Restmüll entsorgen. 

Erst im Anschluss Hände dann mit Wasser abgespült.

Ein Waschen der Hautpartie, auf der das Gel angewendet wurde, sollte erst nach ausreichender Einwirkzeit erfolgen.

Anderer Applikator

„Voltaren Schmerzgel mit Komfort-Applikator“ 

besser als Umwelt-Applikator zu bezeichnen. 

Kein Händewaschen nötig

Schmerzpflaster

Auch Schmerzpflaster benötigen bei richtiger Anwendung keine aufwändige Wischtechnik – und sind eventuell sogar effektiver als das „Schmieren“.

Teurer bzw. mehr

20 Tbl. 6€, ca. 30 cent/Tabl.

25 mg/Tabl., 83 mg/€

30 g kosten 7€

23 mg/g (viele Studien 1% 10mg/g)

3 g 10 Einzelgaben ca. 70 cent/Einzelgabe (größere Packung 30)

Ca. 70 mg/Einzelgabe

Warum mehr geben?

5- bis 17-mal weniger aufgenommen über die Haut.

Weniger allgemeine Wirkungen bzw. Nebenwirkungen 

(Studien meist mit 1%, Gel aber 2,5-fache Menge)

Blutgerinnung weniger gehemmt, aber auch Entzündungsenzyme weniger gehemmt

Nebenwirkungen 

eher an der Applikationsstelle,

Magen-Darm bei Tabletten

(Kienzler, Gold, and Nollevaux 2010)

Ohne Penetrationsverstärker diffundieren Medikamente auf der Haut nicht mal 5 mm tief in die Dermis, hatten wir ja schon beim Thema Tattoos. Dort muss unter die Dermis injiziert werden.

Wirkt?

Wie eine Tablette

Topisches Diclofenac, das auf die Haut aufgetragen wird, dringt langsam und in geringen Mengen in den systemischen Kreislauf ein. Die Bioverfügbarkeit und die maximale Plasmakonzentration nach topischer Anwendung betragen im Allgemeinen weniger als 5 % gegenüber 15 % bei oraler Verabreichung des Arzneimittels.

Lokal

Um eine optimale Wirksamkeit zu erzielen, muss das NSAID in das entzündete Gewebe in einer Konzentration eindringen, die ausreicht, um eine sinnvolle entzündungshemmende Wirkung zu entfalten. 

Das dichte Netz von Kapillaren und Hautlymphgefäßen ermöglicht die Penetration in das tiefere subkutane Fettgewebe, wo lipophile Wirkstoffe das Medikament am Ort der Entzündung anreichern können (Nair and Taylor-Gjevre 2010).

Topisch appliziertes Diclofenac erreicht die Synovialflüssigkeit, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass die perkutane Absorptionsrate stark von den individuellen Hauteigenschaften beeinflusst wird (Heyneman, Lawless-Liday, and Wall 2000)

Aufgrund der Variabilität der transdermalen Absorption hat sich die Verwendung von perkutanen Verstärkern und Lösungsmittelkombinationen in Mikroemulsionsformulierungen und Zubereitungen, die Penetrationsverstärker wie Dimethylsulfoxid (DMSO) enthalten, als wesentlich erwiesen (Altman et al. 2015).

Andere Salben und Pflaster sollen gar nicht lokal wirken:

  • Fentanyl-Pflaster
  • Antibaby Pille
  • Hormonersatztherapie
  • Testosteron salbe

Knie

Für eine Hautanwendung am besten geeignet 

  • Kniearthrose 
  • akute Verstauchungen, Zerrungen
    (Cochrane Database of Systematic Reviews, June 15, 2015).

Topisches Diclofenac-Natrium-Gel (1%) (Altman and Barkin 2009).

mittelschwerer symptomatischer Knie-Arthrose 12 Wochen lang viermal täglich 4 g Diclofenac-Gel oder ein Placebo. 4 x 4 = 16 g, halbe 30 g Packung, (=160 g = 6 Tabl.), 

42%ige Verringerung der Schmerzen, 25 % bei Placebo  (Barthel et al. 2009)

Unterschied 20% echt auf Subtanz 

20% aller Patienten, einer von fünf Patienten.

mäßige Linderung von OA-Schmerzen in mehreren randomisierten Studien, Meta-Analysen (Lin et al. 2004; Mason et al. 2004), jedoch nicht langfristig bewertet. (Taylor, Fotopoulos, and Maibach 2011; Simon et al. 2009; Tugwell, Wells, and Shainhouse 2004).

Drei Studien, in denen Gele mit Tabletten verglichen wurden ergaben keinen Unterschied

Wirkt nicht

Neuropathisch oder gemischt keine Unterschiede zwischen Behandlungs- und Kontrollgruppe innerhalb eines Monats; routinemäßige Anwendung einschränken (Brutcher et al. 2019).

Nebenwirkungen

sehr wenige systemische Nebenwirkungen wie Reizungen des Verdauungstrakts oder kardiovaskuläre Komplikationen. Dennoch einige Magenschmerzen oder Bauchkrämpfe (Derry et al. 2015, 2017).

There are side effects: https://www.drugs.com/sfx/diclofenac-topical-side-effects.html 

Zusammenfassung:

  • Schmerzgels und cremes scheinen irgendwie logisch:
    Man trägt das Gel dort auf wo es weh tut
    Warum ein Tabelle schlucken
  • Doch ganz so einfach ist es nicht
  • Am Knie, bei einer dünnen Hautschicht kann es mit besonderen Hilfsstoffen noch klappen, dass Substanzen wie Diclofenac/Voltaren klappen direkt in das entzündete Gewebe und Gelenk gelangen
  • Bei anderen Lokalisationen und Schmerzformen ist dies schon wesentlich unsicherer und nicht untersucht.
  • Gelangt Diclofenac in die Unterhaut wird es von den dortigen Blutgefäßen auch abtransportiert, so funktionieren ja auch viele andere Arzneimittel, die gar nicht im Gelenk wirken sollen
    Also dasselbe Prinzip wird einmal vermarktet als Lokaltherapie und einmal als Tablettenersatz
    So ganz kann da was nicht stimmen, oder?
  • Wichtig für unsere Umwelt, Spezialaufsatz ohne Handkontakt, dann fehlt Einmassieren; oder Hände kompliziert abwischen, Papier entsorgen und dann erst waschen
  • Wirkung max. 1 von 5, auch auf Nebenwirkungen noch achten
  • Ob es an anderen Stellen etwas bringt, selbst Hände ist noch unsicher. 
  • Es gilt eher: keine Wirkung ohne Nebenwirkung.

Belege

Voltaren-Video https://youtu.be/xvUIyQJLKXQ 

Altman, Roy, and Robert L. Barkin. 2009. “Topical Therapy for Osteoarthritis: Clinical and Pharmacologic Perspectives.” Postgraduate Medicine 121 (2): 139–47.

Altman, Roy, Bill Bosch, Kay Brune, Paola Patrignani, and Clarence Young. 2015. “Advances in NSAID Development: Evolution of Diclofenac Products Using Pharmaceutical Technology.” Drugs 75 (8): 859–77.

Barthel, H. Richard, Douglas Haselwood, Selden Longley 3rd, Morris S. Gold, and Roy D. Altman. 2009. “Randomized Controlled Trial of Diclofenac Sodium Gel in Knee Osteoarthritis.” Seminars in Arthritis and Rheumatism 39 (3): 203–12.

Brutcher, Robert E., Connie Kurihara, Mark C. Bicket, Parvaneh Moussavian-Yousefi, David E. Reece, Lisa M. Solomon, Scott R. Griffith, David E. Jamison, and Steven P. Cohen. 2019. “Compounded Topical Pain Creams to Treat Localized Chronic Pain: A Randomized Controlled Trial.” Annals of Internal Medicine 170 (5): 309–18.

Derry, Sheena, R. Andrew Moore, Helen Gaskell, Mairead McIntyre, and Philip J. Wiffen. 2015. “Topical NSAIDs for Acute Musculoskeletal Pain in Adults.” Cochrane Database of Systematic Reviews , no. 6 (June): CD007402.

Derry, Sheena, Philip J. Wiffen, Eija A. Kalso, Rae F. Bell, Dominic Aldington, Tudor Phillips, Helen Gaskell, and R. Andrew Moore. 2017. “Topical Analgesics for Acute and Chronic Pain in Adults – an Overview of Cochrane Reviews.” Cochrane Database of Systematic Reviews  5 (May): CD008609.

Heyneman, C. A., C. Lawless-Liday, and G. C. Wall. 2000. “Oral versus Topical NSAIDs in Rheumatic Diseases: A Comparison.” Drugs 60 (3): 555–74.

Kienzler, Jean-Luc, Morris Gold, and Fabrice Nollevaux. 2010. “Systemic Bioavailability of Topical Diclofenac Sodium Gel 1% versus Oral Diclofenac Sodium in Healthy Volunteers.” Journal of Clinical Pharmacology 50 (1): 50–61.

Nair, Bindu, and Regina Taylor-Gjevre. 2010. “A Review of Topical Diclofenac Use in Musculoskeletal Disease.” Pharmaceuticals  3 (6): 1892–1908.

Simon, Lee S., Lisa M. Grierson, Zahid Naseer, Arthur A. M. Bookman, and Zev J. Shainhouse. 2009. “Efficacy and Safety of Topical Diclofenac Containing Dimethyl Sulfoxide (DMSO) Compared with Those of Topical Placebo, DMSO Vehicle and Oral Diclofenac for Knee Osteoarthritis.” Pain 143 (3): 238–45.

Taylor, R. S., G. Fotopoulos, and H. Maibach. 2011. “Safety Profile of Topical Diclofenac: A Meta-Analysis of Blinded, Randomized, Controlled Trials in Musculoskeletal Conditions.” Current Medical Research and Opinion 27 (3): 605–22.Tugwell, Peter S., George A. Wells, and J. Zev Shainhouse. 2004. “Equivalence Study of a Topical Diclofenac Solution (pennsaid) Compared with Oral Diclofenac in Symptomatic Treatment of Osteoarthritis of the Knee: A Randomized Controlled Trial.” The Journal of Rheumatology 31 (10): 2002–12.

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