Gefährliche Arzneimittel-Wechselwirkungen

In Deutschland sterben jedes Jahr bis zu 30.000 Menschen durch Nebenwirkungen bei der Multimedikation, also der Einnahme von mehreren Arzneimitteln. Das sind fast zehnmal so viele, wie jährlich durch Unfälle im Straßenverkehr zu Tode kommen. Viele dieser Todesfälle wären vermeidbar, wenn alle an der Therapie Beteiligten einen Überblick über alle eingenommenen Medikamente hätten. So können […]

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In Deutschland sterben jedes Jahr bis zu 30.000 Menschen durch Nebenwirkungen bei der Multimedikation, also der Einnahme von mehreren Arzneimitteln. Das sind fast zehnmal so viele, wie jährlich durch Unfälle im Straßenverkehr zu Tode kommen. Viele dieser Todesfälle wären vermeidbar, wenn alle an der Therapie Beteiligten einen Überblick über alle eingenommenen Medikamente hätten. So können ungünstige Kombinationen früh entdeckt oder von Vornherein verhindert werden. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. 

Jeder zweite Behandlungsfehler mit Patientenschaden vermeidbar

Mehr als jeder 20. Patient erleidet bei ärztlichen Behandlungen Schä­den, die in jedem zweiten Fall vermeidbar wären (Panagioti et al. 2019).

Der größte Anteil der vermeidbaren Schäden (25%) entfällt auf medikamentöse Behandlungen.

Natürlich sind medizinische Behandlungen mit Risiken verbunden, die sich nicht immer vermei­den lassen. So haben viele Medikamente Nebenwirkungen (zum Beispiel Müdigkeit und Verstopfung bei Opiaten), die nach einer Risiko-Nut­zen-Abschätzung eben in Kauf genommen werden müssen, um die erhoffte therapeutische Wirkung (Schmerzfreiheit) zu erzielen. Auch wenn man vorher nicht immer sagen kann ob ein Patient wirklich den Vorteil haben wird.

Arzneimittelrisiken

Es kommt jedoch immer wieder vor, dass Patienten zu Schaden kommen, weil 

  • die falschen Medika­men­te ausgewählt wurden, 
  • die falsche Diagnose gestellt wurde, oder 
  • Einnahmefehler
  • weil vorher nicht überprüfte Arzneimittelwechselwirkungen auftreten.
  • Solche die für alle Patienten gelten
  • Solche, die auf genetischen Besonderheiten beruhen

Konsequenzen können klein sein, aber auch bis zu Notfalleinweisungen ins Krankenhaus und Tod.

Medikation als Grund für Notfalleinweisungen ins Krankenhaus

Bei 11,6 Prozent aller Notfalleinweisungen ins Krankenhaus Verdacht, dass eine Arzneimittel-Nebenwirkung zugrunde liegt.

Die Patienten nahmen im Mittel sieben Arzneimittel ein,
drei Viertel der Patienten waren älter als 65. 

Die meisten Patienten klagten über 

  • Magen-Darm Symptome (Bauchschmerzen/krämpfe bis schwere Blutungen)
  • Nervensystem (Schwindel, Synkope) 
  • allgemeine Beschwerden wie Schmerz, Fieber, verschlechterter Allgemeinzustand oder Ermüdung

Als häufigste Arzneimittel, die in einem möglichen Zusammenhang mit den Patientenbeschwerden stehen

  • Blutverdünner (> 25 Prozent), 
  • Blutdruckmittel: Betablocker, ACE-Hemmer und Sartane

Was sind Arzneimittelinteraktionen überhaupt, wie kommt es dazu?

Arzneimittelinteraktionen entstehen durch verschiedene direkt chemisch-physikalische Interaktion, die auch im Reagenzglas passieren würden, oder nur im Körper. Dort zwei Arten:

  • Was macht unser Körper mit dem Arzneimittel (pharmakokinetisch)
  • Was macht das Arzneimittel mit unserem Körper (pharmakodynamisch).

Was passiert mit einem Arzneistoff nachdem eine Tablette geschluckt wurde:

  • zunächst aus der Arzneiform (Tablette, Kapsel) freigesetzt, ein Vorgang dessen Geschwindigkeit von der Herstellung des Arzneimittels abhängt (Retardierung), manchmal auch Magenschutz damit der Magen geschützt wird oder der Arzneistoff vor der Magensäure. 
  • Der Arzneistoff wird dann aufgenommen (Magen, Dünn- oder Dickdarm), 
  • Leber (dort kann schon der Abbau einsetzen, sodass gar nicht alles von der Leber in den Blutkreislauf abgegeben wird, oder auch aktiviert)
  • Dann im Körper verteilt und gelangt an sein Ziel 
  • Dabei aber auch zur Niere und in den Urin zur Ausscheidung bzw. wieder zur Leber und weiterem Abbau und auch die Leber kann Arzneistoffe ausscheiden, und zwar über die Galle in den Darm – also Niere über den Urin, Leber über den Darm und Stuhlgang 
  • So laufen anfluten im Zielorgan und Abbau parallel und nach ein paar Stunden hat der Arzneistoff den Körper wieder verlassen. 

Für alle drei Formen, direkt chemisch-physikalisch, was unser Körper mit dem Arzneimittel macht und was macht das Arzneimittel mit unserem Körper macht gibt es Wechselwirkungen.

Chemisch:

Calcium/Milch → Tetracyclin ↓ Bisphosphonate ↓ (deshalb eigentlich immer mit Wasser)

Körper mit dem Arzneimittel:

Induktion oder Inhibition von arzneistoff-abbauenden Enzymen

Johanniskraut (Induktor) → Östrogen, Nifedipin ↓

Clarithromycin/Antibiotikum (Inhibitor) → Nifedipin ↑

Hauptrisiko Krankenhaus-Arzt

Besonders eindrücklich zeigen sich die gefährlichen Informationsdefizite bei der Einweisung oder Entlassung aus dem Krankenhaus. Dass solche Defizite keineswegs Ausnahmen, sondern erschreckend häufig sind, zeigt der Arzneimittelreport der Krankenkasse Barmer, der sich insbesondere den Problemen bei Einweisung und Entlassung aus dem Krankenhaus widmet.

So gaben 40 Prozent der 150 befragten Hausärzte an, mit den Informationen aus dem Krankenhaus unzufrieden oder sogar sehr unzufrieden zu sein. Diese Informationen sind jedoch besonders wichtig, weil bei stationärer Behandlung häufig neue Medikamente verordnet werden. „Von einer modernen, übergreifenden Versorgung zwischen stationär und ambulant ist unser Gesundheitswesen meilenweit entfernt“, 

Keine 100%ige Sicherheit, Digitalisierung wird helfen, hakt aber

Derzeit kann weder in deutschen Apotheken, noch in deutschen Krankenhäusern routinemäßig nach allen Interaktionen gesucht werden.

Die Apothekenkassenprogramme überblicken gegenwärtig nur den jeweils aktuellen Verkaufsvorgang, ggf. noch erweitert um Informationen zu früheren Einkäufen in der gleichen Apotheke, falls ein entsprechendes Einverständnis für die Aufnahme in die Kundendatei der jeweiligen Apotheke vorliegt. 

Pharmaka, die in unterschiedlichen Apotheken eingekauft worden sind, können ebenso wie freiverkäufliche Medikamente (z. B. aus Drogerien und aus Internetapotheken) für die Interaktionsprüfung nicht herangezogen werden. 

Besserung verspricht hier die elektronische Gesundheitskarte. In anderen Ländern (z. B. Schweden) können alle Apotheker und Ärzte eine Liste aller rezeptierten (und herausgegebenen) Arzneimittel einsehen und so den Therapieverlauf und mögliche Interaktionen beurteilen.

Selber aktiv werden, informiert sein, kontrollieren

z.B. etwas außerhalb der Apotheke oder in einer anderen Apotheke als ihrer Stammapotheke gekauft…

Die ABDA-Datenbank ist eine der umfangreichsten Datenbanken zu Interaktionen mit Schwerpunkt auf den in Deutschland aktuell und früher eingesetzten Medikamenten. 

>400k Wechselwirkungen zwischen 

  • >1.500+ Stoffen und 
  • >30k Produkten (Fertigarzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel, Diätetika). 

Die Datenbank wird 14-tägig aktualisiert. 

Die Warnungen enthalten immer Hinweise zum Schweregrad der Interaktion und häufig auch Empfehlungen zum weiteren Vorgehen wie z. B. Einnahmehinweise, Rücksprache mit dem Arzt, Verweigerung der Abgabe eiens Arzneimittels trotz verschreibung durch einen Arzt. 

Auf Apotheken-Umschau für Laien ABDATA Pharma-Daten-Service.

Klassifikation der Schweregrade

  • schwerwiegende Folgen wahrscheinlich – kontraindiziert 6%
  • vorsichtshalber kontraindiziert 11%
  • Überwachung bzw. Anpassung notwendig 46%
  • in bestimmten Fällen Überwachung bzw. Anpassung notwendig 4%
  • vorsichtshalber überwachen 31%
  • i. d. R. keine Maßnahme erforderlich nur 2%

Andere Produkte, etwa Nahrungsergänzungsmittel oder Diätetikprodukte, werden im Check in der Regel nicht berücksichtigt. 

Dennoch können solche Produkte in Kombination mit Arzneimitteln teils ernste Wechselwirkungen auslösen. 

Wichtige WW

  • Clarithromycin/Antibiotikum (Biaxin® (D), Mavid® (D), Klacid® (D, A, CH), Klaciped® (CH)) Hemmt Abbau zahlreicher Arzneimittel
  • und verstärkt so deren Wirkung 
  • Simvastatin / Cholesterinsenker (Zocor®, Inegy®) Dessen Abbau kann verlangsamt werden, dadurch hohe Plasmaspiegel und Muskelschäden
  • Warfarin, Phenprocoumon / Blutverdünner (Coumadin®, Marcumar®) Abbau-Hemmung und Blutungen durch erhöhte Plasmakonzentrationen
  • Escitalopram / Antidepressivum (Cipralex®) Nervenzittern und Blutungen
  • Atenolol / Betablocker (Tenormin®) Verlangsamung des Herzrhythmus
  • Ramipril / Blutdruckmittel (Delix®, Ramicard®, Ramiclaire®, Vasotop®, Vesdil®) Herz-Kreislauf und Nierenschäden
  • ASS (Aspirin®), Paracetamol (Benuron®) vor allem aufgrund der zahlreichen Verordnungen oben in der Liste häufig interagierender Pharmaka. Tatsächlich sind sie jedoch nicht häufiger problematisch als alle anderen Medikamente
  • Ibuprofen Vermindert die Wirkung von Blutdrucksenkern

Liefert Hinweise, welche Risiken bei der Anwendung Ihrer Medikamenten auftreten können. 

Ersetzt nicht die Beratung durch Arzt oder Apotheker. Sprechen Sie also unbedingt mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt, bevor Sie verschriebene Arzneimittel nicht mehr nehmen! 

Zusammenfassung:

  • Arzneimittelneben- und v.a. Wechselwirkungen sind häufig und extrem komplex
  • Datenbanken, Digitalisierung, gut gepflegter Medikamentenplan, einschließlich scheinbar harmlose Medikamente
  • Mit der ABDA Datenbank über Apotheken-Umschau ein mögliches Tool
  • Am besten Stammapotheke vor Ort

Belege und Quellen

Wechselwirkungs-Checker: https://www.apotheken-umschau.de/medikamente/wechselwirkungscheck/ 

Arzneimittelreport der Barner: https://www.barmer.de/blob/254084/b1fa6438da1c611b757a7b74b982f62a/data/dl-barmer-arzneimittelreport.pdf 

Panagioti, Maria, Kanza Khan, Richard N. Keers, Aseel Abuzour, Denham Phipps, Evangelos Kontopantelis, Peter Bower, et al. 2019. “Prevalence, Severity, and Nature of Preventable Patient Harm across Medical Care Settings: Systematic Review and Meta-Analysis.” BMJ  366 (July): l4185.

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